Lübeck: Bericht über die Lesung mit Kristina Hänel am 14. April
In: Mitteilungen 238 (1/2019), S. 17 – 19
110 Interessierte, darunter viele junge Menschen, folgten am 14.04.19 der Einladung der Lübecker Humanistischen Union (HU), des Frauenbüros der Hansestadt und der Rosa Luxemburg Stiftung, um von der Ärztin Kristina Hänel, angeklagt auf der Grundlage des Paragrafen 219a, persönlich zu erfahren, warum und wie sie sich öffentlich gegen die Klage zur Wehr setzt.
In der Lesung ihres Buches mit dem programmatischen Titel „Das Politische ist persönlich“ und im anschließenden Gespräch rief die Gießener Allgemeinmedizinerin Hänel die aktuellen politischen Folgen des nicht zufällig seit dem Jahr 1933 geltenden Strafrechtsparagraphen in Erinnerung:
Einerseits findet ungestraft aggressive Hetze sehr präsent im Internet unter dem Unwort „Babycaust“ statt, sowie an immer mehr Orten auf der Straße vor Beratungsstellen und Arztpraxen. Andererseits ist es auch nach der jüngsten Änderung des Strafrechtsparagraphen ambulanten Praxen und Kliniken verboten, unter dem Begriff „Schwangerschaftsabbruch“, fachlich erläuternde Information auf ihrer Homepage oder sonstigen Praxispublikationen zu veröffentlichen. Nach wie vor entschließen sich Frauen nicht leichtfertig zu einem Schwangerschaftsabbruch, sondern kommen in einer Notlage. Diese ist noch einmal eine ganz besondere, wenn Flüchtlinge nach Vergewaltigungen Hilfe suchen, wie Frau Hänel aus der Praxis berichtete.
Die Paragrafen 219a und 218 des StGB haben dazu beigetragen, dass in den letzten Jahrzehnten die ärztliche Aus-und Fortbildung, sowie die Weiterentwicklung medizinischer Methoden zum schonenden Schwangerschaftsabbruch vernachlässigt wurden. Daher fehlen in einer Reihe Regionen Deutschlands schon immer ortsnahe Möglichkeiten, eine Schwangerschaft zu beenden oder sie verschwinden zunehmend mit dem Ruhestand in diesem Bereich tätiger Ärzt*innen. Nicht so im Lübecker Raum, wie Vorstandsmitglied der Lübecker HU und Gynäkologe, Dr. Christoph Schöttler, zu Beginn der Veranstaltung erläuterte. Nach 43 Jahren als Frauenarzt und aktiver Unterstützer der örtlichen HU Frauenberatungsstelle zum Schwangerschaftskonflikt hatte er jetzt im Ruhestand die Lage aktuell landesweit geprüft und festgestellt, dass sich in der Lübecker Region genügend Praxen und Kliniken dieser Aufgabe tatsächlich stellen.
Frau Hänels sensible Reflektionen, ihr Ernst, ebenso wie ihr feiner Humor in der Beschreibung ihrer Erfahrungen seit der Klage gegen sie im Jahr 2017 machen Mut, sich nicht mit dem Status quo abzufinden. Ihr Entschluss an die Öffentlichkeit zu gehen, stößt bis heute auf eine große positive Resonanz. Fast 170.000 Menschen unterschrieben in kurzer Zeit ihre Petition gegen den § 219a StGB an den Bundestag. Es gab ein vielfältiges Medienecho und es entstand eine Bewegung auch innerhalb des ärztlichen Nachwuchses, sich mit dem Thema medizinisch und politisch auseinanderzusetzten. Der lebhafte Streit in Bundestag und Bundesregierung um eine Streichung oder Reform des Paragrafen 219a hätten ohne Frau Hänels mutigen Schritt so nicht stattgefunden. Allerdings stehen die ersten juristischen Anträge zu einem von Grünen, Linken und FDP angestrebten Normenkontrollverfahren noch aus.
Das Sonntagabendforum am 14.04.19 war das dritte an jenem Wochenende nach zwei ebenfalls erfolgreichen Veranstaltungen in Flensburg und Kiel. Es endete nach zwei Stunden mit einem sehr langen Beifall für den authentischen Vortrag von Frau Hänel – Bestätigung für ihre Entschlossenheit, sich als nächstes vor dem Oberlandesgericht zu verteidigen und bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen, für ihre Forderungen, den Paragrafen 219a zu streichen und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau auch insgesamt in der gesetzlichen Regelung zum Schwangerschaftsabbruch mehr Geltung zu verschaffen. Die nächsten Veranstaltungen finden in Bayern statt.
Kristina Hänel, „Das Politische ist persönlich, Tagebuch einer „Abtreibungsärztin“ „; 15 €, erschien im Argumente Verlag, ISBN 978-3-86754-513-6