Zur Geschichte der Lübecker Frauen- und Famili­en­be­ra­tungs­stelle

Das 30-jährige Bestehen der Frauen- und Familienberatungsstelle ist ein guter Anlass, um einmal an die Anfänge unserer Einrichtung zu erinnern. Die Gründung der HU stand im Jahre 1961 unter dem Motto: Gegen Dogmatismus, Fanatismus und Intoleranz. Für die Selbstbestimmung von Frauen hieß dies vor allem, eine Reform des Abtreibungsparagraphen 218, am besten jedoch seine Streichung zu erreichen. Die Abtreibungsfrage wurde so – neben den Problemen der polizeilichen Aufrüstung – eines der wichtigsten Grundrechtsthemen in der HU der 70er Jahre.
In der HU begann die öffentliche Diskussion der Abtreibungsfrage 1971 – hundert Jahre nach dem Kaiser-Wilhelm-Gesetz. In Hamburg wurde von der HU eine „Sonderstelle § 218“ eingerichtet. Dort trafen sich vor allem Frauen, um Argumente für die immer dringlicher werdende öffentliche Diskussion auszutauschen. Der öffentliche Widerstand, besonders von Seiten der Kirche, war beträchtlich. Frauen, die sich die Kosten eines Eingriffs leisten konnten, fuhren ins Ausland, besonders gern nach Holland. Jene, die sich diese „Lösung” ihres Problems nicht leisten konnten, standen vor der Alternative, entweder ein hochnotpeinliches, umständliches und teures Gutachterverfahren über die Ärztekammer mitzumachen, oder sich einer „Engelmacherin” anzuvertrauen – und das damit verbundene Risiko für ihre Gesundheit in Kauf zu nehmen.

Von den politischen Parteien im Bundestag wurde das Thema damals geflissentlich übersehen. Lediglich die FDP, die ihre liberalen Bezüge pflegte, setzte sich für eine Freigabe der Abtreibung ein. Später schloss sich auch die SPD an, nachdem sie die Emanzipation der Frauen als politisches Thema erkannt hatte.

Unter diesen Voraussetzungen gelang es der Humanistischen Union in der Abtreibungsfrage, zusammen mit anderen Aktivistinnen und Gruppierungen, eine breite Öffentlichkeit zu mobilisieren. Erinnert sei nur an die Titelseite des Sterns voller Frauengesichter, die erklärt hatten: „Ich habe abgetrieben“.

Mitten in der Debatte, im Jahre 1974, richtete der Ortsverband Lübeck der HU eine Beratungsstelle für Frauen ein, um in Notfällen zu helfen. Vier Lübecker Ärzte waren bereit, betroffene Frauen gegenüber der Ärztekammer zu unterstützen.

1976 kam dann endlich – im zweiten Anlauf – die lang erstrittene Reform des § 218. Der Bundesvorstand kritisierte in einer Erklärung die Neufassung der Abtreibungsregelung als nicht weitgehend genug, jedoch wurde anerkannt, dass die Indikationsregelung die Lage der Frauen verbesserte. Nachdem die Gesetzesreform Bundestag und Bundesrat passierte hatte, wurde die Frauen- und  Familienberatungsstelle der HU in Lübeck staatlich anerkannt. Einer erfolgreichen Arbeit stand nun nichts mehr im Wege. In den folgenden Jahren kamen die Frauen aus Süddeutschland, besonders aus Bayern und Baden-Württemberg nach Lübeck, weil sie in ihrer Heimat keine Hilfe fanden.

Nach der Freigabe der Indikationslösung entwickelten sich nördlich der Mainlinie drei große Zentren, in denen Frauen in Notlagen geholfen wurde: die AWO in Essen, die Pro Familia in Bremen und die Humanistische Union in Lübeck. Heute ist die Frauen- und Familienberatungsstelle der Humanistischen Union mit einer 24-Stunden-Stelle ausgestattet die sich durch Landesmittel, kommunale Zuschüsse und Spenden finanziert. Mit der Liberalisierung der Abtreibungsfrage haben sich die Aufgaben unserer Einrichtung gewandelt. In den letzten Jahren hat die sozialrechtliche Beratung und Unterstützung weiter zugenommen. Aufgrund der daraus resultierenden Erfahrung mit dem Sozialamt und der Arge (Durchsuchung der Wohnungen von Alleinerziehenden durch den Ermittlungsdienst des Sozialamtes, jetzt der Arge, lange Bearbeitungs- und Wartezeiten, datenschutzrechtliche Probleme, unwürdiger Umgang mit AntragstellerInnen …) initiierten wir ein lokales Netzwerk mit 15 Beratungsstellen. Im Dialog mit politischen Entscheidungsträgern, Stadtverwaltung und Arge werden immer wieder Vereinbarungen ausgehandelt,  die die Situation für die BezieherInnen von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II zumindest auf der lokalen Ebene verbessern sollen.

Mit unterschiedlichen Veranstaltungsangeboten wie einem Film und dem Bericht einer mexikanischen Bürgerrechtlerin zu verschwundenen und getöteten Frauen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze,  einer Fotoausstellung über ein Frauenhaus in Marokko und einer Diskussionsveranstaltung mit einer Iranerin zur Sharia  versuchen wir über den Tellerrand zu schauen und die jeweiligen Gruppen zu unterstützen. Die Arbeit der Beratungsstelle geht also auch nach 30 Jahren weiter …

Helga Lenz
arbeitet seit 12 Jahren in der Lübecker Frauen- und Familienberatungsstelle der Humanistischen Union

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