Bericht der DemonstrationsbeobachterInnen der Humanistischen Union
Am Samstag, den 28. März 2009 verfolgte die Humanistische Union mit 15 BeobachterInnen den „Trauermarsch“ der NPD und die Kundgebung des Bündnisses „Wir können sie stoppen“. Insgesamt zeichneten sich die Einsatzkräfte der Polizei durch ein gegenüber dem Vorjahr besonneneres Vorgehen aus, wenngleich erneut vereinzelte Fälle von Unverhältnismäßigkeit im Verhalten zu beanstanden waren.
Der Marsch der NPD verlief nach den Berichten der BeobachterInnen ohne nennenswerte Zwischenfälle zwischen Polizei und NPD-Demonstranten. Entgegen dem polizeilichen Vorgehen im Vorjahr wurden Vermummungen seitens der NPD-Demonstrationen durch klare Ansagen der polizeilichen Einsatzleitung auch während der Veranstaltung unterbunden und die Einhaltung der Auflagen hinsichtlich des zeitlichen Rahmens der Demonstration weitgehend durchgesetzt. Eine unangemeldete Auftaktkundgebung am Bahnhof wurde nach wenigen Minuten polizeilich abgebrochen und durch das Glockengeläut der St. Lorenz Kirche und die eingesetzten Hubschrauber der Polizei übertönt. Bei einer Kundgebung der NPD-Demonstration am Ziegelteller kam der Versammlungsleiter Lemke trotz dreimaliger Aufforderung durch die Polizei, die Kundgebung aufgrund zeitlicher Überziehung zu beenden nur verzögert nach. Während des Demonstrationszuges konnten Proteste aus anliegenden Häusern und von ca. 300 begleitenden Gegendemonstranten beobachtet werden.
Die Beobachtung der Aktivitäten der Gegendemonstranten erwies sich demgegenüber als problematisch, da die eingesetzten BeobachterInnen durch einzelne Polizeieinheiten wiederholt in ihrer Arbeit behindert wurden. So wurden bereits gegen 10.00 Uhr BeobachterInnen von der Pressestelle der Polizei am hinteren Bahnhofsausgang des Platzes verwiesen. Der Bahnhof war zu dieser Zeit noch für Passanten zugänglich. Gegen weitere BeobachterInnen wurden im Laufe des Tages mehrere Platzverweise ausgesprochen, ein Beobachter wurde von zwei Polizisten genötigt, Dokumentationsfotos unter Androhung der Beschlagnahme seiner Kamera zu löschen. Der Zugang zu in Gewahrsam genommenen Gegendemonstranten am Behördenhochhaus wurde verhindert, gegen einen Anwalt wurde ein Platzverweis ausgesprochen. Die Behinderung der BeobachterInnen führte dazu, dass die Humanistische Union zu einzelnen Auseinandersetzungen wie in der Hansestraße und an den Brücken, welche St. Lorenz-Nord und St. Lorenz-Süd trennen, keine Einschätzung abzugeben vermag, da die BeobachterInnen hier erst verspätet eintrafen.
Vorbildlich funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Gegendemonstranten und Polizei, als an der St. Lorenz-Kirche ein Gegendemonstrant einen Krampfanfall erlitt und von zwei Beamten aus der Menge geborgen wurde.
Der Situation unangemessene Polizeiaktionen
Gegen 11.35 Uhr seilten sich am Hinterausgang des Hauptbahnhofes zwei Gegendemonstranten vom Dach ab und versuchten, ein Transparent zu entfalten. Ein Polizeibeamter gefährdete diese Personen, die in 4-5 Metern schwebten, beim Herunterreißen des Transparentes, indem er so stark an dem Befestigungsseil eines der Demonstranten zog, dass dieser Hautabschürfungen davontrug.
Gegen 12.00 Uhr eskalierte die Situation im Bahnhof vorübergehend beim Eintreffen des Zuges aus Hamburg, in dem sich etwa 200 GegendemonstrantInnen befanden. Der Hinterausgang des Bahnhofes wurde zu diesem Zeitpunkt von lediglich 7 PolizeibeamtInnen gesichert, wodurch es einer Gruppe von etwa 25 GegendemonstrantInnen gelang, durch die Polizeikette durchzubrechen und sich am Hinterausgang des Bahnhofes zu einer Sitzblockade zu formieren, die von den eingesetzten Polizeikräften abgedrängt wurde. Zeitgleich wurden in der Bahnhofshalle durch Einheiten der Polizei Mecklenburg-Vorpommern und der Bundespolizei Schlagstöcke und Hunde eingesetzt, es kam zu einer mit Polizeigewalt ausgeführten Festnahme. Als problematisch zu bewerten ist, dass ankommende Gegendemonstranten aus Hamburg mit Schlagstockeinsatz und Einsatz von Pfefferspray zu einer geschlossenen Bahnhofstür gedrängt wurden. Beobachter der HU konnten bei dem Schlagstockeinsatz festhalten, dass die eingesetzten Polizeieinheiten die Schlagstöcke gezielt gegen die Köpfe der Gegendemonstranten einsetzten.
Auch die nach den Hamburgern eingetroffenen Kieler Gegendemonstranten wurden, obwohl sie sich schon am Ausgang befanden, mit Schlagstöcken malträtiert. Dabei wurde mindestens ein Gegendemonstrant am Kopf verletzt. Von Seiten der Gegendemonstranten wurde bei dieser Auseinandersetzung Farbbeutelwürfe beobachtet, auf dem Bahnhofsvorplatz konnte anschließend ein Steinwurf sowie das Werfen von Kunststoffflaschen, Böllern und eines Apfels beobachtet werden.
Insbesondere die eingesetzten Hundestaffeln erschienen zu verschiedenen Zeitpunkten überfordert. Um 15.10 Uhr konnte an der Meyerbrücke beobachtet werden, dass eine Gegendemonstrantin ohne ersichtlichen Anlass von einem Polizeihund attackiert wurde, welcher sich in ihre mitgeführte Tasche verbiss. Auch wurden unbeteiligte PassantInnen durch die extrem aggressiven und meist ohne Maulkorb eingesetzten Hunde gefährdet.
Die Polizei bildete wiederholt Kessel gegen Demonstranten, denen nach Auskunft der Polizei Landfriedensbruch vorgeworfen wurde. In diesem Zusammenhang war als problematisch zu bewerten, dass eine Gruppe von etwa 30 in der Fackenburger Allee eingekesselten Gegendemonstranten von einer Polizeieinheit aus NRW nach Personalienfeststellung unter Zuhilfenahme von Kabelbindern in Gefangenentransporter verfrachtet wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt keine Widerstandshandlungen aus der Gruppe heraus ersichtlich waren.
In der Hansestraße wurden 91 Gegendemonstranten über eine Stunde eingekesselt und erst dann die Personalien aufgenommen.
Wiederholt kam es zu Handgreiflichkeiten einzelner PolizeibeamtInnen gegenüber GegendemonstrantInnen, aber auch gegen eine Beobachterin der HU und gegen eine Fotografin. Aufgrund der fehlenden Kennzeichnung konnten die BeobachterInnen der HU diese Übergriffe nicht weiterverfolgen, sondern lediglich einzelnen Polizeieinheiten zuschreiben.
Den ganzen Tag über wurde die Bewegungsfreiheit von AnwohnerInnen und GegendemonstrantInnen massiv eingeschränkt. GegendemonstrantInnen wurden auch an weitab der NPD-Demonstration gelegenen Punkten wie z.B. der Puppen- oder der Bahnhofsbrücke am Durchkommen gehindert.
Den eingesetzen BeobachterInnen wurden weitere Fälle von Übergriffen berichtet, die jedoch noch der Verifizierung bedürfen.
Der HU liegen Augenzeugenberichte vor, nach denen es auch in diesem Jahr zur Unterbringung von DemonstrantInnen auf dem Parkdeck gekommen sein soll und auch eine Gruppe von 15 z.T. minderjährige GegendemonstrantInnen sich im Behördenhochhaus entkleiden sollten. Diese Vorwürfe konnten von der HU nicht verifiziert werden da den Beobachterinnen der Zugang zum Behördenhochhaus verwehrt wurde.
Fazit
Wir erwarten zukünftig mehr Ausgeglichenheit und Professionalität von der Polizei. PolizistInnen sollten entsprechend der Empfehlungen der EU durchgehend gekennzeichnet werden, um gegebenenfalls ihre Identifizierung zu ermöglichen. Wir erwarten, dass sich der Innenminister nicht mehr einer Qualitäts- und Angemessenheitskontrollen zum Schutz des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit u.a. durch eine Demobeobachtung entzieht. Demonstrationsbeobachtungen, wie in Heiligendamm und anderen Städten erfolgreich praktiziert, sind auch mit freiem Geleit ohne Gefährdung der Polizeiaktionen möglich.
Für die Humanistische Union stellt sich zudem die Frage, ob die Dimension des Polizeieinsatzes nicht als unangemessen zu bewerten ist. Zumindest wäre eine zurückhaltende Präsenz auf dem Versammlungsplatz aus Deeskalationsgründen angebracht erschienen.
Aufgrund von Behinderungen der Demonstrationsbeobachtung durch die Polizei kann die HU zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine abschließende Stellungnahme zum Polizeieinsatz abgeben. Insbesondere die Anschuldigungen von Augenzeugen über unverhältnismäßige und entwürdigende Umgangsformen der Polizei im Behördenhochaus bedürfen dringend weiterer Aufklärung und werden einen Schwerpunkt der Nachbereitung seitens der HU darstellen. Zeugen werden gebeten, sich bei der HU zu melden unter: hu-frauenberatung@t-online.de.
Hintergrundinformationen zum alljährlichen Aufmarsch der Neonazis in Lübeck finden sich auf der Webseite der Gegenkampagne: http://www.wirkoennensiestoppen.de.