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Bericht zur Demon­s­tra­ti­ons­be­ob­ach­tung vom 29.3.2008 durch die Humanis­ti­sche Union in Lübeck

31. März 2008

Am Samstag, dem 29. März 2008 verfolgte die Humanistische Union mit 12 BeobachterInnen den „Trauermarsch“ der NPD und die Kundgebung und Demonstrationen des Bündnisses „Wir können sie stoppen“. In ihrem Bericht über die Polizeieinsätze kritisieren die BeobachterInnen vor allem das Verhalten der Berliner Polizeieinsatzkräfte.

Am Samstag den 29. 3 verfolgte die Humanistische Union mit 12 BeobachterInnen den „Trauermarsch“ der NPD und die Kundgebung und Demonstrationen des Bündnisses „Wir können sie stoppen“. Tatsächlich fanden durch massives Polizeiaufgebot getrennte Demonstrationen statt.

Der Marsch der NPD verlief nach den Berichten der BeobachterInnen trotz Vermummung rechter Demonstranten und Hitlergruss ohne nennenswerte Zwischenfällen zwischen Polizei und NPD-Demonstranten. Es soll hier laut Beobachtung lediglich einen rechten Demonstranten geben, der in Gewahrsam genommen wurde. Bei der zweiten Kundgebung Ecke Töpferweg/Hansestr. fiel wiederholt das Wort vom „Bomben-Holocaust gegen das deutsche Volk“, was auch juristisch als höchst problematische Begrifflichkeit anzusehen ist.

Aufgehalten wurde der Ablauf nur durch die Sitzblo­ckade in der Hansestraße

Die Sitzblocke von 35 bis 40 Demonstranten konnte von der Polizei professionell und besonnen geräumt werden. Die Demonstranten wurden zunächst im Hof der Polizei in über einen Zeitraum von zwei Stunden festgehalten. Obwohl es sich bei der Sitzblockade lediglich um eine Ordnungswidrigkeit handelt, wurden die 35 bis 40 Demonstranten in Polizeigewahrsam genommen und zum Polizeihochhaus transportiert. Nach Aussagen des Demonstrationsbeobachters und Rechtanwaltes Konstantin von Notz, der den festgenommenen Demonstranten zum Polizeihochhaus folgte, berichteten mehrere festgenommene Demonstranten, unter denen sich auch Minderjährige (auch 14 Jährige) befanden, dass sie auf einem Parkdeck untergebracht wurden und sich einmal entkleiden mussten. Dem angegebenen Grund des Transports zum Polizeihochhaus, die erkennungsdienstlichen Behandlung, wurde nicht nachgegangen.

Einsatz von Pfeffer­spray durch die Polizei

Als Demonstranten versuchten, über die Fußgängerbrücke über den Stadtgraben (Wallanlage) zur Moislinger Allee zu gelangen, berichteten zwei Teilnehmerinnen, dass die Polizeikräfte Pfefferspray gegen die abziehenden Demonstranten einsetzten, dass sie rempelten und nach den Menschen traten. Beim Rückweg auf der Possehlstraße trieb die Polizei Demonstranten vor sich her, denen es aber gelang, durch eine Sitzblockade die Situation wieder zu beruhigen.

Vorge­hens­weise der Berliner Polizei­kräfte

Der Versammlungsleiter der Demonstration an der Puppenbrücke berichtet, dass es ihm nicht gelang, Kontakt zu einem verantwortlichen Polizeieinsatzleiter zu erhalten, als vor Ort die Situation zu eskalieren drohte: Nachdem plötzlich sechs bis acht Mannschaftswagen der Polizei vor dem Holstentorplatz vorfuhren, und PolizistInnen nebenher liefen, sprangen Gruppen von zehn bis 20 PolizistInnen in die Menschenmenge, rempelten und griffen sich willkürlich wirkend Menschen aus der Menge, die sie in Gewahrsam nahmen. Der Versammlungsplatz war zu der Zeit von drei Seiten mit Polizeikräften abgeriegelt. Den Polizeistürmen begegneten die Demonstranten mit erhobenen Händen, um Schlimmeres zu verhindern.

Währenddessen hat der Versammlungsleiter der Demonstration vom Lübecker Einsatzleiter die Auskunft erhalten, er habe die Verantwortung an den Berliner abgegeben, dieser jedoch habe sich lange geweigert, überhaupt mit dem Demonstrationsleiter Kontakt aufzunehmen.

Marienbrücke

Ein ähnliches Szenario ereignete sich eine Stunde später unterhalb der Marienbrücke, als wiederum eine Gruppe von zehn bis 20 PolizistInnen in die Menge liefen und einen Demonstranten griffen. Ein Demonstrant, der von der Polizei weggeschleift wurde berichtete, dass ihn die Polizei ihn gegriffen hätten, „weil eine verdächtige Person mit einer roten Fahne gesucht werde.“ Als die Beobachterin Helga Lenz hinzu trat, wurde er wieder losgelassen.

Brutale Übergriffe durch die Polizei in der Possehl­straße

Die Demonstrationsbeobachterin und Landtagsabgeordnete Angelika Birk war zugegen, als eine große Gruppe friedlicher Demonstranten von der Possehlstraße zu Fuß gemächlich auf das Gewerkschaftshaus zuging. Plötzlich begann die Polizeitruppe hinter ihr zu rennen und alle Menschen nach vorne zu schubsen. Einige wurden willkürlich festgenommen. „Die ruhig zwischen Gewerkschaftshaus und Puppenbrücke Versammelten wurden unruhig“, so Angelika Birk. Sie beobachtet, wie vier Polizisten eine junge Frau mit Rastazöpfen an den Haaren, Armen und Beinen fünfzig Meter ziehen und brutal in ein abgedunkeltes Polizeiauto werfen. Als Birk sich als Mitglied der Humanistischen Union-Beobachtergruppe und Landtagsabgeordnete vorstellt und darum bittet, mit einsteigen zu dürfen, wird sie vom Polizeibeamten mit Beschimpfungen rüde zurückgestoßen. Der Polizeibeamte gibt auf Nachfrage weder Name noch Dienstnummer an. Aus dem Auto sind laute erregte Männerstimmen und eine Frauenstimme zu hören.

Wenig später kann von Angelika Birk beobachtet werden, wie hinter ihr eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren zum nächsten verdunkelten Polizeiauto getragen wird. Sie klappt zusammen, die Polizeisanitäter tragen sie. Erregt gesellt sich eine Bürgerin dazu und ruft: „Ich bin keine Demonstrantin, aber ich habe genau gesehen, dass die Polizei ihr in den Magen getreten haben“. Die junge Frau wird immer noch schweigend, schwer atmend, sitzend festgehalten und schließlich in ein Polizeiauto geschoben. Angelika Birk wird auf ihr Intervenieren von der Polizei rüde aufgefordert, sie solle verschwinden, sonst würde sie verprügelt.

Ergebnisse der Beobach­tungen durch die HU

Zum Gesamteindruck soll weiter recherchiert werden. Es zeigt sich aber schon jetzt ein sehr zwiespältiges Bild. Im Bereich des NPD- Aufmarsches erscheint der Einsatz eher zurückhaltend. Auch die Räumung der Blockade in diesem Bereich war besonnen und angemessen.

Auf der anderen Seite des Stadtgrabens ein ganz anderes Bild: Die Taktik der Polizei, demonstrierende Gruppen voneinander zu trennen und immer wieder mit kleinen Gruppen in die Versammlung bzw. den Demonstrationszug hineinzurennen, war bedrohlich und provozierend. Dabei wurden zahlreiche Personen verletzt. Hier ist zu fragen, was unter der angekündigten Deeskalationsstrategie zu verstehen ist.

Auch entstand nach Gesprächen mit einzelnen Polizisten und dem Berliner Einsatzleiter („Die [gemeint war das Polizeipräsidium] sitzen doch im Elfenbeinturm. Wir räumen hier erst mal auf.„) der Eindruck, dass die Berliner Polizei sehr autonom und sehr brutal handelte, wodurch es zu unnötigen Eskalationen kam.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass an der Puppenbrücke relativ ruhig an der Absperrung zu den zwei Wasserwerfern der Polizei demonstriert wurde. An drei verschiedenen Orten ging die Polizei relativ brutal vor, um die Situation eskalieren zu lassen. Unverständlich ist es für die Demonstrationsbeobachter, nach welchen Gesetzesvorgaben warum die an der Sitzblockade Beteiligten zum Polizeihochhaus gebracht wurden, warum insbesondere Minderjährige sich entwürdigenderweise entkleiden mussten und so lange festgehalten wurden.

Auch der eskalierende Einsatz der Polizei am Versammlungsort Holstentor, Fußgängerbrücke und MUK Parkplatz muss untersucht werden. Zeugen werden aufgefordert, sich bei der HU zu melden.

Lübeck, 31.03.08

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